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Die drei Leben der Bauplanen am Alten Markt
Fotograf: Lutz Langer

Die drei Leben der Bauplanen am Alten Markt

Was Schlaues, was Schönes, was Solidarisches

Während der Arbeiten in der Potsdamer Mitte hatte die 1956 ihren Bauzaun zur Ausstellung gemacht, mit der sie sich selbst und ihre Pläne vorstellen wollte. Sie lockte viele Besucher des Alten Marktes an, die interessiert lasen, schauten und staunten. Die Ausstellung gibt es nun auch zum Mitnehmen, denn die Planen wurden umweltfreundlich zu stylischen Taschen verarbeitet. Für eine Spende sind sie zu haben.

Vor mehr als fünf Jahren begannen die ersten Bauarbeiten im Block III in der Potsdamer Mitte. Früh entstand die Idee, die Arbeit der PWG 1956 und das Vorhaben Am Alten Markt mit einer Ausstellung entlang des Bauzauns zu begleiten. Wir wollten damit zeigen: Hier bauen Potsdamerinnen und Potsdamer für Potsdam. Keine privaten und von außerhalb kommenden Investoren, sondern tief in der Stadt und ihrer Geschichte verankerte Genossenschaften.

Ausstellung an der Straße

Die 1956 wollte sich und ihren Werdegang vorstellen, ihre Planungen in der Potsdamer Mitte präsentieren und die Geschichte der Häuser anschaulich skizzieren, die Friedrich der Große einst in der heutigen Anna-Zielenziger-Straße bauen ließ. Zusammen mit der Agentur Medienlabor GmbH und der Projektkommunikation Hagenau GmbH wurden verschiedene Konzepte entwickelt. Denn für eine solche Ausstellung müssen viele Fragen geklärt und Entscheidungen getroffen werden. Wie groß sollen die Planen werden? Welche Farben wollen wir verwenden? Was möchte man eigentlich darstellen und in welchem Umfang? 

Viele Monate recherchierten die Redakteurinnen und Redakteure von Projektkommunikation Informationen und Geschichten, sprachen mit Protagonisten, suchten Fotos und Pläne, um die Bauzaunausstellung so lebendig wie möglich zu machen. Sie schrieben, telefonierten und sprachen mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der 1956, den Architektenbüros, den beauftragten Restaurateuren, wälzten in der Bibliothek Bücher und Dokumente und suchten nach passenden Fotos zu den Geschichten, die die Genossenschaft erzählen wollte. Das Team von Medienlabor vertiefte sich währenddessen in die kreative Aufgabe, ein passendes Layout für die Ausstellungsplanen zu gestalten. Verschiedene Designs, Schriftgrößen, Gestaltungselemente wurden ausprobiert, Texte und Fotos in unterschiedlichen Längen und Größen eingesetzt. Auch der Bauzaun wurde mehrmals ausgemessen – denn am Ende sollte schließlich alles perfekt passen.   

Neuer Blick auf unsere Arbeit

Die Arbeit an der Ausstellung hat der 1956 und allen Beteiligten neue spannende Aspekte zur Potsdamer Mitte gelehrt, etwa wer einst in der heutigen Anna-Zielenziger-Straße gewohnt, gelebt und gearbeitet hat oder welche Geschäfte und Institutionen hier ihre Adresse hatten. Sie bot aber ebenso noch einmal die Gelegenheit, auf die eigene langjährige Geschichte unserer Genossenschaft und die vielen Bau- und Sanierungsvorhaben, die in den vergangenen Jahrzehnten erfolgreich auf den Weg gebracht wurden, zurückzublicken. Von den schwierigen Anfängen nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Mitwirken der PWG 1956 am Wiederaufbau in der Potsdamer Innenstadt bis hin zur Entwicklung des Bestands zu DDR-Zeiten in den damals neu entstehenden Stadtvierteln wie am Schlaatz, am Stern oder in der Waldstadt. Die umfangreichen Sanierungs- und Modernisierungsprogramme nach der Wende sowie spannende Neubauprojekte wie im Französischen Quartier.

Einen ersten Vorgeschmack auf die Ausstellung konnten unsere Mitglieder und geladene Gäste bei unserem Tag der offenen Baustelle am 3. Oktober 2021 bekommen, bei dem die 1956 einen kleinen Ausschnitt der Schau zeigen konnte. Anfang Dezember desselben Jahres war es dann endlich so weit: Die Planen wurden an den Bauzaun am Alten Markt angebracht und lockten sofort interessierte Besucher an. 

Das erste Leben als Schau

Zu sehen waren die Schauplanen über mehrere Jahre. Immer, wenn man an der Baustelle vorbeikam, standen Leute da und schauten sich die historischen Bilder und Entwürfe an. Auch die Informationen über die PWG 1956 und deren Geschichte fanden das Interesse der Passanten. Natürlich wurden die Planen auch beschmiert, manchmal einfach so, manchmal auch mit Botschaften, wie „Bonzenbau“ oder auch „Stadt für alle!“. Mitunter mussten zerstörte Planen ersetzt werden.

Als der Bauzaun 2024 endlich abgeräumt werden konnte, verschwanden auch die Planen. Die Mitarbeiter der 1956 bargen sie, auch die, die versehentlich auf dem Müll gelandet waren oder unter Bauabfällen begraben lagen. Am Ende konnten fast 200 Meter Bauplanen eingelagert werden. Die waren nicht sehr sauber, manche auch nicht mehr heil, aber in jedem Fall zu schade für die Entsorgung.

Zumal die Entsorgung gar nicht so einfach ist: Die Planen sind aus Polyvinylchlorid, besser bekannt als PVC. Das ist ein langlebiger Kunststoff, der in vielen Alltagsbereichen zu finden ist, darunter auf dem Bau, in elektronischen Geräten und in Konsumgütern. Seine Widerstandsfähigkeit macht ihn beliebt, ist aber zugleich sein Problem: Fußbodenbeläge aus PVC zum Beispiel brauchen an die hundert Jahre, ehe sie verrotten. Aufgrund seiner chemischen Zusammensetzung kann unsachgemäß entsorgtes PVC schädliche Chemikalien freisetzen. Wenn PVC verbrannt oder falsch deponiert wird, können giftige Dioxine entstehen, die schwer abbaubar sind und die Umwelt langfristig belasten. 

Das zweite Leben als guter Stil

Aber natürlich kann man auch diesen Kunststoff recyceln, ihn zu anderen Grundstoffen weiterverarbeiten oder durch Verbrennung Energie erzeugen. Die 1956 hat sich für einen anderen Weg entschieden. Die Richtung: Wenn das Material so belastbar und quasi ewig unzerstörbar ist, dann machen wir Taschen daraus. Taschen mit Geschichte, bedruckt mit Geschichten. Aber wer stellt so etwas her? 

Als Partner konnte die 1956 die „Union sozialer Einrichtungen“ in Berlin gewinnen. Das ist ein gemeinnütziges Unternehmen, das sich auf die berufliche Rehabilitation von Menschen mit Behinderungen spezialisiert hat. Sie bietet eine Vielzahl von Optionen zur beruflichen Beschäftigung, insbesondere für Menschen mit geistigen und psychischen Beeinträchtigungen. Eine der Werkstätten des Unternehmens ist eine Schneiderei, die sich für unsere Idee interessierte. Auch die Reinigung der Planen konnte das Unternehmen organisieren, in dem etwa 1.000 Menschen mit Behinderungen einen Arbeitsplatz gefunden haben. 

Keine wie die andere

Die Schneider und Schneiderinnen haben zwei Taschenmodelle entwickelt: Die Kompakte mit Boden und die Elegante im schmalen Design. Während die eine auf dem Wochenmarkt was hermacht, erinnert die andere an Schallplatten, Musik und Dichtung. Die Taschen sind inhaltlich sehr unterschiedlich. Interessenten, Käufer und Nutzer können zwischen sechs verschiedenen Charakteren wählen. 

Die Historische erinnert an die historische Schlossstraße, die Visionäre zitiert die Entwürfe der neu errichteten Gebäude, die Unangepasste huldigt der Lebensfreude, während die Schlaue mit Textfragmenten spielt. Ganz anders die Sechsundfuffziger und die Potsdamerin: Diese beiden variieren das Logo und die Farben der 1956 und das Wort „Potsdamer“ Wer es ganz genau wissen will, der kann hier schauen.

Das dritte Leben als Entwicklungshilfe

Die Taschen werden auf Veranstaltungen der Genossenschaft angebo­ten. Wer eine haben will: während der letzten Events hat sich ein „Gewohnheitspreis“ von 19,56 Euro entwickelt. Die Einnahmen gehen als Spende zu DESWOS, die Deutsche Entwicklungshilfe für soziales Wohnungs- und Siedlungswesen e. V. Sie ist ein gemeinnütziger Verein, der Armut und Wohnungsnot im Globalen Süden bekämpft. Sie unterstützt Menschen durch den Bau von Wohnungen und Schulen, Maßnahmen zur Wasserversorgung sowie Projekte zur wirtschaftlichen Existenzsicherung. Als international tätige Fachorganisation der deutschen Wohnungswirtschaft engagiert sich die DESWOS mit der Vision „Wir schaffen ein Zuhause – weltweit“. Sie versteht menschenwürdiges Wohnen als Grundlage für gesellschaftlichen Zusammenhalt, Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit. Damit steht die DESWOS für Werte, für die auch die Genossenschaften stehen. 

Die Taschen sind ein sehenswertes Accessoire, jede ein Unikat einer limitierten Serie. Jede erzählt eine Geschichte oder deutet sie wenigstens an. Vor allem aber ist jede Tasche selbst ein Stück Stadtgeschichte zum Anfassen. Wer sich eine solche Tasche zulegt, gönnt sich selbst und anderen etwas Gutes.

Hier geht es zu den Taschen.

Fotografen: Sarah Stoffers, Carsten Hagenau, Lutz Langer